Leseprobe "Unbequeme Schönheiten"

Einosten anstatt Einrosten

Ich setze meinen Hoffnungen ein Segel und gleite los. Im zerfetzten Stofflappen über mir spüre ich die sich verfangenden Erwartungen blinder Passagiere. Anfangs überquere ich unendlich flaches Land. Doch wenn’s sein muss, durchkreuze ich mit meinem Wüstenschiff auch die Ödnis. Ein erster Gegenwind hebt meine Flügel. Ich muss höllisch aufpassen und darf der Sonne nicht zu nahe kommen. Schon Ikarus brachte reiner Übermut zu Fall. Dabei hatte man ihn noch gewarnt. Seine Flugfedern wurden mit Wachs geklebt. Meine sind nur ein Gedankenkonstrukt. Doch sie werden mich tragen, ganz egal, wohin die Reise mit mir geht.

Geboren wurde ich in einem Land, von dem nie antike Helden aufstiegen. Bestenfalls stürzten sie darüber ab. Dann aber angesichts von Bomben und Granaten. Ex oriente lux. Das erste Licht kam aus dem Osten. Morgens als jungfräulicher Sonnenaufgang. Mittags als christliche Erleuchtung in Form der Weisheit Gottes. Abends meinte man zu glauben, alles Wissen und alle Kultur kämen aus dem Orient, gar aus dem Fernen Osten. Und jetzt? Jetzt wird der Untergang des Abendlandes eingeläutet. Jeden Tag mit apokalyptischem Tempo vorhergesagt. Getragen auf den blendenden Strahlen des Sonnenlichts überrenne uns angeblich ein „barbarischer“ Islam. Also reite ich ihm doch entgegen: Im Angriff lag schon immer die beste Verteidigung.
Wo aber liegt der Osten und wo fängt er überhaupt an? Etwa in Osten an der Elbe gleich gegenüber von Glückstadt? Als gut verkorkter Flaschengeist in einer dorfeigenen „Buddelsammlung“? Beginnt der Osten im dort auf Flascheninhalt zusammengeschrumpften Geburtshaus Shakespeares? Oder im miniaturisierten Kühlhaus eines Atomkraftwerkes? Offenbart er sich in meinem Smartphone, wenn der rote GoogleMap-Pfeil nach oben zeigt und ich mich nach rechts wende? Orientiere ich mich geschickter mit einem natürlichen Kompass? Finde einen Ameisenhügel und schaue, ob die Intelligenz seiner Bewohner ihn arteigen nach Süden ausrichten ließ. Ziehe ich zur Sicherheit ein Rotes Beinholz aus dem Dickicht, dessen Äste sich an der Sonnenseite stärker ausbilden. Befrage ich klüger geworden eine alte Landkarte? Einst wurden sie geostet, weil Jerusalem im Osten liegt. Da kann ich mir auch gleich eine nach Osten ausgerichtete Kirche suchen.

Endlich eingeostet, tentakel ich mich langsam vorwärts. Zuerst verhake ich meine Saugnäpfe wie Schiffsanker an unterirdischen Ruinen. Vom Fundament des Krakauer Wawel rutschen sie noch ab und lassen mich weiter nach Südosten treiben. Unterwegs auf meinem osteuropäischen Traumpfad stoße ich gegen die mittelalterliche Festungsmauer von Altlublau. Streife gefährlich nah die Henkersbastei von Kaschau. Dümple plötzlich wie eine vergessene Flaschenpost in den stehenden Gewässern des fischreichsten Flusses Europas, der Theiß. Endlich überquere ich den ehemaligen Grenzfluss Dakiens.
Angetrunken treibe ich durch gnadenlos in den Tokai-Berg getriebene Weinkeller. Umarme süße Rebsorten, die geduldig ihrer Metamorphose entgegenträumen. Irgendwo im Nirgendwo sitze ich plötzlich am wurmstichigen Tisch eines alten Satmarer Schwaben. Der kann sich auch nicht mehr erinnern, warum sein Urgroßvater mit dem Rabbi von Satmar aneinander geriet. Kurzerhand zieht mich ein Gewitter in den Kreis einer Hochzeitsfeier inmitten der kleinsten Oascher Großfamilie.

Vor den Toren: Maramuresch

Unvermittelt stehe ich vor den hölzernen Ahnen einer aus Äxten und Beilen gehauenen Vergangenheit. Noch sehe ich das holzgewordene Versprechen vor lauter Bäumen nicht. Wandle ich etwa schon durchs Morgenland, durchgereicht von einer Fata Morgana zur nächsten? Lebendig in einem Holzsarg, begreife ich, wie alles über mich lacht. Bin ich schon vor dem Tod gestorben? Habe ich ihn überholt, ohne den Blinker gesetzt zu haben? Wenn ich genau hinschaue, steht er bereits hinter mir. In jedem einzelnen der mich anstarrenden Gesichter erkenne ich seinen unstillbaren Appetit. Hier ist das Lachen einem Weinen bereits der Bruder. Es sind Freudentränen darüber, gesund und glücklich das Ende aller Zeiten erreicht zu haben. Zähne im Gesicht tragende Masken vergessener Fabelwesen umtanzen mich. Ziehen und zerren an mir und verlangen lauthals Wegezoll für das Passieren alter Straßen und Wege. Erkennen sie in mir den Weltenbummler? Oder glauben sie, einen verwunschenen Traumtänzer der Lüge zu überführen? Sollen mich riesige Holzlöffel in ihre Märchenwelt hinüberprügeln? Kam ich ahnungslos ins Schlaraffenland, wo Milch, Honig und Wein statt Wasser in den Flüssen fließen? Fliegen mir jetzt jeden Augenblick gesottene Kühe und Schafe in den Mund? Bauen sie sich Häuser aus Kuchen und eilen über Schafskäse statt über Steinen? Werden hier für harte Arbeit und Fleiß die Sünden erlassen? Bin ich endlich im Land des Überflusses und der Prasserei? Ich habe die „Via Utopia“ erreicht und ziehe mein Segelschiff an Land!

So oder so ähnlich erlebe ich seit über 40 Jahren, einem Murmeltier nicht unähnlich, meine Ankunft im letzten Krähwinkel der alten Welt. Dabei bleibt es unerheblich, ob ich mich geheimnisvoll und im Schutze der Nacht anschleiche oder unübersehbar im Brennglas der Mittagssonne dahinschmelze. Ob im siebten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts oder am Ende aller Tage, ob bei dichtem Schneetreiben oder sintflutartigen Regenfällen... nichts lässt sich mit einer Ankunft in der Maramuresch vergleichen. Gelegentlich schafft ein überraschender Unfall Klarheit über den eigentlichen Aufenthaltsort. Mit Kuhmist und Schafkot dekorierte Straßen berauschen wie vom Teufel verfolgt Dahinkriechende. Selbst wenn ungezähmte Eingeborene noch ihre klapprigen Fuhrwerke lenken, steuern ausgewanderte Heimkehrer bereits ihre nagelneuen Blechschlitten. Vom ledrigen Zügel bis zum griffigen Sportlenkrad ist es nur ein Peitschenhieb. Der Sprung vom Rücken eines bei Nacht verschleppten Schweins bis zur erbeuteten Nobelkarosse geschieht übergangslos.Tektonische Verschiebungen in den Hirnschalen des Homo sapiens maramurensis sind beispiellos.

Rückblicke

Vage erinnere ich mich an eine erste Expedition mit meinen Eltern. Ich war vielleicht Elf. An ein Heben oder gar Fallen des Eisernen Vorhangs war im völlig unbekannten „dakischen Mesopotamien“ noch lange nicht zu denken. Die Flussströme Iza und Tiza ersetzten uns die unerreichbaren Kulturlandschaften zwischen Euphrat und Tigris. Unsere Fahrt entlang von urtümlichen Bauern besiedelter Flusstäler wirkte, als durchkreuzten wir archäologische Ausgrabungen. Solche Holzkirchen standen nie am Euphrat. Noch weniger diese Holztore am Tigris. Selbst in kleinsten Dörfern irrwitzige, wie lange Bleistifte zugespitzte Holzkathedralen. Kurioserweise blieb jedes Bäuerlein kleiner gewachsen als ich. Dafür verstanden sie riesige Tore aus tausendjährigen Eichen aufzurichten. Behauende Balkengebilde, die allesamt die Dachspitze der Datsche meiner Großeltern überragten. Wenigstens zwei, in strahlend weiße Trachten gekleidete Generationen hockten feiertags davor. Aus dem Schatten ihrer reich verzierten und schindelgedeckten Holztore kommentierten sie die ihnen unbekannte weite Welt. Alle sind mir freundlich und zugänglich in Erinnerung geblieben.

Unsere Reifenpanne musste ihnen wie gerufen vorgekommen sein. Sofort fiel mir die Aufrichtigkeit ihrer nie zur Schau gestellten Gastfreundschaft auf. Im Handumdrehen lief das halbe Dorf zusammen, ob Jung oder Alt. Zuerst wurde meinem Vater der Wagenheber aus den Händen genommen. Dann schrubbten schüchtern kichernde Kinder mit Strohbesen das verstaubte Ersatzrad stubenrein. Mild lächelnde Großmütter boten uns eine Art Krapfen an. Der ihnen eigene Reinlichkeitssinn zeigte sich dann beim geplatzten Reifen. Mit großem Eifer und als wollten sie ihn gleich vor den Altar ihrer Kirche rollen, überboten sie sich gegenseitig. Fast glich ihre Putzwut einer Teufelsaustreibung. Zufrieden gaben sie sich erst, als der Reifen wie gesalbt vor uns lag. Dort lernten wir unser erstes rumänisches Wort: „vulcanizare“ für Reifendienst. Das zweite war schon etwas schwerer auszusprechen: „multumesc“ für Danke. Die uns freundlich nachwinkenden Frauen werde ich nie vergessen. Daneben standen ihre verstaubten Männer, die nun aussahen, als hätten wir sie mit unseren Autoreifen vollgespritzt.

Jahrzehnte später führte mich der inzwischen altgewordene Eigentümer in die selbe „vulcanizare“. Er konnte sich an nichts erinnern. Wie durch ein Wunder war alles bis ins Detail unverändert geblieben. Mit gleicher Intensität strömte auf mich eine Geruchserinnerung ein, die mir am Dach meiner Nasenhöhle eingespeichert geblieben war.

In schönster Erinnerung blieben mir auch die mit bestickten Trachten ausstaffierten Menschen. Vor, mitten und hinter jedem Dorf zogen sie quer über die staubige Chaussee. Vorneweg die hübschesten Mädchen des Dorfes. Immer sich gegenseitig untergehakt und aus vollem Halse singend. Gefolgt von jungen Männern, die farbenfrohe Kirchenfahnen und Holzkreuze trugen. Alle strebten sie einem mir damals noch unbekannten Ziel entgegen. Längst weiß ich, dass sie sich auf dem Heimweg vom berühmten Wallfahrtskloster Moisei befanden. Selbst in den spürbar finster werdenden Ceausescu-Jahren konnte kein Funktionär diese Prozession aufhalten. Auf Schusters Rappen liefen sie unzählige Kilometer das lange Tal der blauen Iza hinauf bis zum wolkenweißen Kloster. Der ganze Aufwand geschah nur, um der Heiligen Maria die Ehre zu erweisen. Entweder besaßen meine Eltern keinen Reiseführer, oder es durfte dieses religiöse Ablassfest dort mit keinem Wort erwähnt werden. Jedenfalls verharrten wir auch ohne Reifenpanne am Straßenrand. Von hier ließ sich die Prozession am besten beobachten. Und weil wir in unseren Sommerferien oft um diese Zeit durch die Maramuresch fuhren, blieb sie mir als außergewöhnlich religiös und lebendig in Erinnerung. Wir kreierten sogar einen geflügelten Begriff für die außergewöhnliche Darbietung und Dichte des Auftretens kostümierter Pärchen. Jedesmal, wenn wir eines entdeckten, rief ich kindlich begeistert: „Schaut, da läuft wieder ein „Trachtenbärchen“!“

Einmal besichtigten wir die historische Holzkirche zum „Heiligen Nicolae“ in Bogdan Voda. Schon damals eine Hochburg regionalen Brauchtums im Iza-Tal. Ob ich bei dieser Gelegenheit die beeindruckenden Wandmalereien im Kircheninnern zu Gesicht bekam? Aber noch interessierte mich das nicht sonderlich. Dafür ist mir ein skurriler Bauer und stolzer Familienvater in Erinnerung geblieben. Mehr mit Händen als mit Füßen versuchte er meiner Mutter die Kraft seiner Lenden zu veranschaulichen. Unaufgefordert begann er unter dem holzgeschnitzten Kirchentor, ihr die beeindruckende Anzahl der von ihm gezeugten Kinder aufzuzählen. Dabei setzte er seine flink hoch und runter schnellenden Finger wie eine außer Kontrolle geratene Zählmaschine ein. Ganz sicher nicht humorlos, hinterließ er bei uns den Eindruck, wenigstens auf diesem Gebiet die „Number One“ im Dorf zu sein.

Goldener Schuss

Wir verpassten es auch damals nicht, einige der quicklebendigen Bauernmärkte zu besuchen. Doch etwas in der Art, wie es in Siebenbürgen gang und gäbe war, schien sich in der Maramuresch nicht zu wiederholen. Dabei war ich ihnen überall in Rumänien begegnet. Doch hier oben, im äußersten Nordwesten des Landes, wo die Karte am Nagel hing, konnte ich einfach keinen „Zigeuner“ entdecken. Ohne uns bei diesem Wort gleich auf die Zunge zu beißen - heutzutage würden uns Klügere Gedankenlosigkeit, manche sogar Rassismus bescheinigen - bezeichneten wir die Roma mit diesem für sie inzwischen als politisch unkorrekt geltenden Namen. Vielleicht sind sie diesbezüglich selbst ahnungslos, dafür aber mit gebrochenem Stolz erfüllt. Bis heute bezeichnen sie sich mit dieser Fremdbezeichnung. Hin und wieder irritiere ich Zeitgenossen mit der spaßig gemeinten Behauptung, selbst der berühmten Zigeunerfamilie von Django Reinhardt zu entstammen.

Ein paar ältere Männer mit ungewöhnlich langen Vollbärten und breiten Ledergürteln erregten damals unsere Aufmerksamkeit. Mein Vater, der unter Freunden hochachtungsvoll „Django“ genannt wird, entdeckte sie als erster. Da standen sie: Zwei auffällig diskutierende Roma mit mittelalterlich wirkenden Filzkappen und knapp einen Meter langen Rauschebärten. Sie trugen ihre Bärte genau in der Art, wie sie Gibbons und Hill von „ZZ Top“ später weltberühmt machten.
Weil mein Vater die urigen Kesselzigeuner fotografieren wollte, entstand Unruhe innerhalb der Sippe. Der voluminöse Schnurrbart meines Vaters muss den stolzen Bartträgern imponiert und sie von seiner Glaubwürdigkeit überzeugt haben. Ihm dürfte der Fortbestand unserer Urlaubskasse zu verdanken sein. Ansonsten wäre die Summe des blitzschnell geforderten Schutzgeldes für das Foto ins Astronomische gestiegen. Auch jetzt noch, wenn ich es mir anschaue, muss ich feststellen, dass mein Vater ein gutes Gespür für außergewöhnliche Fotomotive besaß. So gesehen hatte er damals ein wahres Schnäppchen gemacht. Umgerechnet satte 10 DDR-Mark für das Konterfei der ansonsten unbekannt gebliebenen Vorgänger von ZZ Top sind eine unbedingt lohnenswerte Investition. Mit diesem Erfolg konnten wir erhobenen Hauptes den Markt verlassen. Und noch etwas hatte er mit diesem goldenen Schuss in mir geweckt: Mein Interesse an exotische und schwer vor die Kamera zu bekommende Zeitgenossen.

Auf einem anderen Markt entstand ein Foto, wie es richtungsweisender nicht hätte gelingen könnte. Eigentlich sind es zwei Fotos. Auf einem stecke ich in einer rustikalen und aufwendig bestickten Trachtenweste. Es ist nicht ganz klar, ob ich die überbordend und mit bunten Trotteln behangene Weste trage oder doch eher sie mich. Auf dem zweiten Foto sind dann alle Zweifel ausgeräumt. Dort sitzt nämlich der grinsende Verkäufer neben der auch ohne mich von selbst stehenden Weste.
Nicht, dass ich ein großer Fan folkloristischer Trachten geworden wäre. Ich schaue mir Kostümierte lieber aus respektablem Abstand an. Beispielsweise wenn sie Singen oder Tanzen. Jahrzehnte später bekam ich doch noch eine schöne Lederweste geschenkt. Aber nicht von einem grinsenden Marktverkäufer, sondern völlig überraschend von einer Weltreisenden und ambitionierten Fotografin. Sie verriet mir auch gleich, wie sie in den Besitz der Weste kam, die einem alten Mann aus Botiza gehört hätte. Weltgewandt und im Erwerb von Reisemitbringseln erfahren, konnte sie dem Besitzer schon mit 100 Euro seine Lederweste ab-schwatzen. Wenn man berücksichtigt, dass sehr viele der kunstvoll bestickten Männerwesten als Grabbeilage einer ausgeprägten Jenseitsvorstellung überlassen werden und so für immer verloren gehen, kann man dieser energischen Frau nur dankbar sein. Infolge ihrer Initiative wechselte ein äußerst selten gewordener Kulturschatz in meine Garderobe. Inzwischen heißt es, dass alte Westen nicht unter tausend Euro zu bekommen seien! Selbst neue Fellwesten, an denen Meister ihres Fachs bis zu zwei Monate arbeiten und trotzdem kaum die Kunstfertigkeit ihrer Vorfahren erreichen, sollen mittlerweile ein Vermögen Wert sein.

Eigene Schritte

Damals waren die Straßen der Maramuresch von Autos wie leergefegt. Archaische Pferdefuhrwerke und schlecht besohlte Fußgänger gaben das Schrittmaß an. In einem letzten Rückzugsgebiet Europas zog der Tag noch seinen Jahrhundertweg. Was selbst in den schwach motorisierten Siebzigern schon ungewöhnlich erschien, verstärkte sich noch-mals in den Achtzigern. Ab 1981 tauchte ich mit meinem Rucksack, der so genannten Kraxe, in der Maramuresch auf. Meinen Reiseplan, mich mit Trampen vorwärts zu bewegen, konnte ich mir gleich abschminken. Stunden vergingen, ohne dass irgendein motorbetriebenes Fahrzeug aufgetaucht wäre. Und falls doch, einer Fata Morgana gleich, ein Autobus angepoltert kam, war er längst zum Platzen überfüllt. Um das irgendwie zu verhindern, ließen kurzsichtige Verkehrsplaner die Busfenster und Türen von innen vergittern. Und falls ich in der Fahrerkabine eines „Roman Diesel“-LKW’s tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit erwischte, wollten sich die Fahrer ihren abenteuerlichen Fahrdienst gut bezahlen lassen. Einmal quetschte ich nicht nur mich in die überfüllte Fahrerkabine, sondern auch meine Finger im Türrahmen ein. Ich hatte sie selbst hinter mir zugeschlagen. Leider muss mein Hilfeschrei unverständlich geblieben sein, denn es dauerte schmerzvolle Sekunden, bis ich die Finger wieder freibekam.
Das Grundprinzip meiner Art zu Reisen schien in Rumänien weitestgehend unbekannt. Ich erinnere mich an einen Dacia-Fahrer, der unverhohlen in meinen Rucksack griff, um sich seinen geforderten Wegzoll gleich selbst herauszuziehen. Natürlich war mir längst zu Ohren gekommen, dass Rumänien in einer schweren Wirtschaftskrise steckte, wie es sie im gebeutelten Ostblock kein zweites Mal gegeben hatte. Benzin wurde streng rationiert. An den Wochenenden galt die Regelung, wonach Fahrzeuge nur abwechselnd mit geraden oder ungeraden Fahrzeugnummern gefahren werden durften. Im Kerngebiet der Maramuresch kann ich mich an keine Tankstelle erinnern. Bevor ich eine zu Gesicht bekam, war sie ohnehin an einer kilometerlangen Autoschlange zu erkennen. Benzin wurde auf dem Schwarzmarkt zu Preisen gehandelt, die weit über denen von Wein oder gar Schnaps lagen. Deshalb besaß ich auch ein gewisses Verständnis dafür, dass der Dacia-Fahrer irgendwelche Flüssigkeiten für sein Vorwärtskommen suchte. Mehr Wein zum „Nachtanken“ hätte er ohnehin nicht bei mir gefunden. Auch Brot, Salami oder gar ein Stück Käse waren nirgends im Land zu ergattern, erst recht nicht bei mir.

Am Ende bin ich sehr weite Strecken gelaufen. Aber auch aus heutiger Sicht bereue ich keinen Meter. Jeden davon persönlich kennengelernt zu haben, ist ein gutes Gefühl geblieben. Es fährt sich anders über die nun modernisierten Straßen, wenn man sich zurückerinnert, wie viel Schweiß einst auf ihnen fließen musste. Hin und wieder habe ich aber auch gerastet, um ein paar der nicht konfiszierten Weinflaschen selbst auszutrinken. Ohne Furcht schlug ich mein Zelt an Dorfrändern auf. Immer fand ich Schutz auf Bergpässen oder schlief mutig neben unberechenbaren Flüssen. Bären wären mir damals nicht in den Sinn gekommen. Dafür näherten sich meinem Zelt neugierige Dorfkinder. Oder Angler, die mich einmal nach Strich und Faden beklauten, weil die Fische nicht beißen wollten. Nach allem Möglichen wurde ich befragt, eingehend betrachtet und ungeniert angefasst. Und immer wollten sie erfahren, von wo ich kam. Dann staunten sie über die von mir zurückgelegte Entfernung. Als würde sich Rumänien auf einem anderen Planeten befinden. Niemand gab sich mit meiner Antwort zufrieden, dass ich aus „Germania“ gekommen bin. Aus welchem „Germania“, wollten sie schon genauer wissen. Zur Hilfe boten sie mir auch gleich zwei Möglichkeiten einer Antwort an: „RDG“ und mit dem Daumen nach links zeigend. Oder das Pendel nach rechts ausschlagend, „RFG“? Antwortete ich etwas kleinlaut „RDG“, was auf den angeblich „demokratischen“ Teil Deutschlands verwies, also der DDR, klopften sie mir trotzdem auf die Schulter. Trotzdem war ich stolz, ja eher unfreiwillig aus dem vermeintlich richtigen Teil Deutschlands gekommen zu sein. Erst später erzählten mir „federale“ Deutsche, die äußerst selten die Maramuresch besuchten, das es ihnen genauso, allerdings andersrum erging. Ein opportunistisches Verhalten der Rumänen, das vermutlich noch aus der Zeit der osmanischen Besatzung stammte. Noch Jahre nach der Revolution von 1989 stellten mir Bauern die altbekannte Frage. Als ich lächelnd zu erklären ansetzte, dass es inzwischen nur noch ein Deutschland gab, nickten sie verständnisvoll und klopften mir wieder auf die Schulter. So wäre es auch gut... einen Maroscher kann man nur schwer zum Widerspruch anregen, er ist immer einverstanden. Ganz egal, wie man es vor ihm dreht oder wendet.