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"Polyphonia
Albaniens vergessene Stimmen"

Oberes Shpati, Mittelalbanien:
Sechzehn Bergdörfer.

Menschen verschiedener Religionen
leben hier friedlich miteinander:

So wie der orthodoxe Schäfer Anastas
und sein muslimischer Freund Arif.

Im osmanischen Reich war die Region
ein Rückzugsgebiet für Christen.
Über Jahrhunderte hatten viele Shpatarak
einen muslimischen und einen christlichen Namen.

Unter dem Diktator Enver Hoxha wurden
auch in Shpati Kirchen und Moscheen zerstört,
Priester und Imame verfolgt, gefoltert und getötet.

Seit 1991 werden wieder religiöse Feste gefeiert.

Man singt wie seit Jahrhunderten:
Mehrstimmig, polyphon,
über dem kraftvollen Grundton

2005 erklärte die UNESCO
die Polyphonie in Albanien
zum Weltkulturerbe.
DVD-Coverumschlag
"Polyphonia"
Arif ist Anastas' bester Freund. Für den orthodoxen Anastas ist sein muslimischer Freund der "Mann mit dem weißen Herzen". Seit vielen Jahren kennen sie sich, haben schon früher zusammen gearbeitet und hüten nun seit ein paar Jahren im Sommer auf einer Gebirgsalm ihre Ziegen.

Die Berge in der Region Shpati sind gewaltig. Mitten in den Tälern, zum Teil auch auf stürmischen Anhöhen gelegen, halten sich noch ein paar Dörfer, deren Bewohner sich zum christlichen oder zum muslimischen Glauben bekennen. Seit Jahrhunderten haben sie es geschafft, aus dieser zurückgezogenen Lage einen Vorteil zu ziehen. Einige Traditionen konnten sich erhalten, allen voran ihr berühmter polyphoner Gesang.

Anastas ist hin - und hergerissen. Sein Sohn lebt mit seiner Familie nun schon über zwei Jahre in Griechenland, wo er eine Arbeit finden konnte. Auch wenn es ihn beruhigt, seinen Sohn dort sicher zu wissen, leidet er sehr unter der Trennung.

Am Ende des Films wird Anastas mit seiner Frau dorthin aufbrechen, wo sein Sohn ein neues Leben begonnen hat. Endlich wird er ihn wieder sehen können.

Polyphonie ist eine außergewöhnlich soziale Gesangsform. Die Kunst des mehrstimmigen Gesangs und zumal die in Shpati verbreitete Form der „gesungenen Tänze“ (valle e kënduara) erfordert eine genaue Abstimmung zwischen vokalen Charakteren und Klangfarben. Wie der Musikethnologe Eckehard Pistrick in seinem Buch "Versteckte Stimmen" schreibt, ist es "eine existentielle Art des Sich Ausdrückens, ein Akt der emotionalen Befreiung, eine natürliche Art der Fortführung des "muabet‘ (Gesprächs).

Eine erste Stimme (Marrës) eröffnet das Lied, die zweite Stimme (Pritjes) beantwortet es, und eine dritte von mehr als drei Männern intonierte Stimme begleitet mit einem kräftigen Bordun-Ton, der "Iso" genannt wird. In Shpati pflegt man den reich ornamentierten toskischen Gesang, der sich durch einen horizontalen Aufbau auszeichnet. Stimme hinzu.

Es singen nicht nur Männer, auch Frauen beherrschen die polyphone Gesangsform – vor allem in Form von Hochzeitsliedern. Die Vielfalt der Lieder ist erstaunlich und die Themen greifen viele Sorgen und Nöte des Alltags auf. Lieder über fast vergessene Helden der Vergangenheit, den entbehrungsreichen Alltag der Schäfer, über die Liebe und den Schmerz der Trennung aber auch über aktuelle Probleme, die sich aus der Emigration ergeben, spiegeln sich in den Texten wieder. 

Ostern ist einer der wichtigsten Bräuche der albanischen Christen. Es werden Osterbrote gebacken, Eier gekocht und gefärbt und eine Vielzahl von Messen bereiten diese Zeit in den Köpfen und Herzen der Christen vor.

Aber nicht alle, wie Kati, verstehen die religiösen Zusammenhänge, denn Albanien war jahrzehntelang ein - damals offiziell verkündeter - atheistischer Staat. So ist viel in Vergessenheit geraten oder im Laufe der Jahre modifiziert worden.

Kugelstoßen ist als olympische Disziplin bekannt, doch Anastas kennt einen alten Brauch, bei dem man eine Steinkugel in die bereit stehende Menschenmasse stößt. Und auch hier gibt es einen Gewinner, und zwar wird es Derjenige, der die Steinkugel am weitesten stößt.

Glocken dienen den Ziegen als akustische Markenzeichen. Dabei kommen etwa 10 Glocken auf 100 Tiere. Der Klang der Glocken ist der ganze Stolz der Hirten, und so besitzen sie alte Glocken, die oftmals den Wert einer Ziege übersteigen.

Ein christliches Fest gibt immer auch Anlass zu feiern und etwas zu essen. Doch wenn die gegrillten Hühner nicht ordentlich dekoriert werden, mischt sich auch schon mal die bereitstehende Polizei in das Geschehen. Vorher testen aber die Geistlichen den kulinarischen Wert des Federviehs.

Die Zeit läuft davon - auch in Shpati. Die traditionellen Häuser verlieren ihren Wert für eine Jugend, die längst in die Stadt oder ins Ausland abgewandert ist. Zerfallende Relikte. Nur in wenigen Dörfern zeugen die alten steingedeckten Häuser noch von der Lebendigkeit und dem Reichtum vergangener Epochen.

Arifs Vater ist ein guter Gastgeber. Erst wenn alle Gäste am Tisch Platz genommen haben, kommt er selbst dazu. Es ist Tradition, den Gast zweimal per Handschlag zu begrüßen: Zuerst vor dem Haus und dann, nicht weniger intensiv, nochmals im Haus.

Anastas und Arif singen gemeinsam ein Abschiedslied. Zum Glück ist gerade ein Hirte auf der Weide, ohne seinen Grundton wäre es unmöglich gewesen, dieses Lied vom bleiernen Herz und von einer bitteren Liebe zu singen.

Auf dem Markt von Gjinar hat sich ein Blinder unter die Marktbesucher gemischt. Seine Zukunftsvisionen sind düster und erschreckend hoffnungslos. Er glaubt kaum, dass die alten Traditionen in Albanien dem Ansturm der glitzernden Welt der Moderne standhalten werden...

Oder gibt es doch einen Funken Hoffnung?
Am Ende des Films bricht Anastas jedenfalls mit seiner Frau dorthin auf, wo sein Sohn ein neues Leben begonnen hat.