Hier sehen Sie Standbilder aus dem Film

"Galizien. Land der gefallenen Engel"

DVD-Coverumschlag
"Galizien"
Eigentlich ist Lembergs Farbe die von vergilbtem Papier. Lemberg kann verwirren, täuschen und etwas anderes behaupten. Es behält dennoch genau diese Farbe in ihren unterschiedlichen Schattierungen. Sie kann zart sein wie das Gelb von noch neuen Zeitungen, die etwas länger in der Sonne gelegen haben. Oder tief und mehrschichtig, wie die Farbe der Papiere, denen wir als Kinder ein altertümliches Aussehen gaben, indem wir sie lange in ein Glas mit starkem Tee tauchten. Vielleicht liegt es daran, dass die Häuser hier verblichen wirken wie Bücher, durch Sonne, Wind und Regen. Man kann sich Lembergs Straßen als Bücherregale vorstellen, die Häuser als Buchrücken. Wie bei wirklichen Büchern sehen manche besser aus, als ihr Inhalt wirklich ist, und umgekehrt. Jedenfalls überkommt einen stets Lust, hereinzuschauen und das Buch des Hauses aufzuschlagen.
Häuser wie in einer Bibliothek aneinandergestellte Bücher - einer Bibliothek, die von einer Hand in die nächste geht, von Generation zu Generation, von Eigentümer zu Eigentümer.

Jurko Prochasko
Nein! In der Hauptstraße dieser Stadt entwickelte sich der obligate Korso. Die Kleidung der Männer vor von einer selbstverständlichen, sachlichen Eleganz. Die jungen Mädchen schwärmten aus wie Schwalben, mit hurtiger, zielsicherer Anmut. Ein heiterer Bettler bat mit vornehmem Bedauern um ein Almosen – und es tat ihm leid, daß er gezwungen war, mich zu belästigen.

Roth, Joseph. Reisen in die Ukraine und nach Russland
Der Osten im Westen

Das alte Lwow ist, auch wenn es erfüllt ist von hektisch dahineilenden Passanten, einer stillgelegten Stadt nicht unähnlich. Die alte Bürgerstadt Lwow ist eine Stadt ohne Bürgertum. Lwow ist nicht eine Stadt, in der die Zeit stehengeblieben ist, sondern eine Stadt, die von einer anderen Zeit überholt worden ist, ein Stück Moderne, das von der Modernisierung überrollt worden ist.

Karl Schlögel
Die romanischen Elemente unterstreichen, mehr noch, kontrapunktieren geradezu die griechisch-byzantinischen. … Gemeint ist eine gewisse byzantinische Mentalität, vielleicht das größte Hindernis auf unserem Weg nach Europa, vielleicht aber auch unser größter Schutz vor diesem Europa.

Denn Lwiw liegt im Mittelpunkt der Welt, jener alten Welt, die eine Scheibe war, welche auf Walen ruhte oder, nach einer anderen Version, auf einer Schildkröte; die fernste Peripherie dieser Welt aber war Indien, an dessen Ufern sich die Wellen der Donau brachen, des Nils, vielleicht sogar des Ozeans.

Juri Andruchowytsch
Es ist en bunter Fleck im Osten Europas, dort, wo es noch lange nicht anfängt, bunt zu werden.
Diese Buntheit schreit nicht, blendet nicht, macht kein Aufsehen, ist nicht um ihrer selbst willen da, wie die Buntheit balkanisch-orientalischer Städte, wie die Budapester zum Beispiel, das balkanischer ist als der Balkan. Die polyglotte Farbigkeit der Stadt Lemberg ist wie am frühen Morgen noch im Halbschlummer, schon in halber Wachheit. Es ist wie die erste Jugend einer Buntheit.

Die Stadt demokratisiert, vereinfacht, vermenschlicht, und es scheint, dass diese Eigenschaften mit ihren kosmopolitischen Neigungen zusammenhängt.

Wenn der liebe Gott nach Lemberg käme, er ginge zu Fuß durch die „Straße der Legionen“.

Der alte „österreichische Schlendrian“ findet eine adäquate Fortsetzung in der Lässigkeit, die slawisch ist und eine Begleiterin der Melancholie.

Alle Trennungsstriche sind mit schwacher, kaum sichtbarer Kreide gezogen. Es ist die Stadt der verwischten Grenzen.

Joseph Roth
Niemals sehe ich dich wieder, soviel Tod/ wartet auf dich, warum jede Stadt/muss sie Jerusalem werden und jeder /Mensch Jude

Adam Zagajewski