Volkstümliche Bauweisen
Untersuchungen an Grundrissen ausgewählter Profanbauten, Erscheinungsformen ländlicher Architektur und Innenausstattung in Obcina


Obcina bildet mit seiner urtümlichen, strukturellen Anordnung hinsichtlich eines sich entwickelnden Haufendorfs eine Ausnahme in der üblichen Praxis, nach der sich Haufendörfer vornehmlich in der Ebene bilden. Der Hausbau ist hier, wie auch anderswo, mit der Umwelt, sowie mit den spezifischen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten eng verbunden.
Im Ganzem betrachtet zeigt sich der Maroscher Hausbau als einheitlich, obwohl er hinsichtlich der benutzten Bautechniken und verwendeten Baumaterialien gebietsmäßige Besonderheiten aufweist. In Obcina findet sich noch der Urzustand maroscher Bauform wieder. Das Einraumhaus ist zwar mittlerweile auch hier in der Unterzahl, aber selbst die in anderen Gebieten immer seltener anzutreffenden Zweiraumhäuser sind hier ausschließlich vertreten. Regionale Besonderheit ist eine in Obcina eigentümliche Hausform, bei der sich unter einem Dach und auf engstem Raum gleich mehrere Funktionen vereinigen. Das folgende Beispiel kann als für Obcina typisch betrachtet werden.

Das Haus der Familie Sewera


Haus der Familie Sewera
Der innerhalb der Marmarosch charakteristische Aufriß ist auch an diesem Haus festzustellen. Ein überaus hohes, und deshalb steiles Dach, das im Vergleich zur Wandhöhe ein Verhältnis von 3/1 ausmacht, schützt das Dach vor – gewöhnlich in dieser Höhe anzutreffenden schneereichen Wintern – dem Zusammenbrechen unter dem Druck der Schneelast. Gut auf dem Foto zu erkennen sind die extrem langen wie mittlerweile immer seltener anzutreffenden Tannenschindeln von über einem Meter Länge.
Ein aus rechteckig hergerichteten Balken bestehender Blockhausbau, bei dem die Balkenenden nagellos untereinander verzapft, und wiederum auf einem Sohlbalken ruhen, bildet den festen Unterbau. Als Fundament dienen hier einige große Feldsteine und ein niedriger Steinsockel. Der Wohnhausgrundriß ist denkbar einfach. Die Wohnstube befindet sich links im Haus. Bevor man sie betritt, schützt ein davor belassener, kleiner Flur die Bewohner vor dem Eindringen der für gewöhnlich kalten Außenluft. Der rechte Hausteil dient als Kuhstall. Darüber, durch eine Klapptür im Dach auch von außen erreichbar, befindet sich der Heuboden mit Teilen der Heuvorräte. Dank einer einfachen Dachverlängerung (das Dach wird im gleichen Neigungswinkel bis fast an den Boden verlängert) befinden sich (von links beginnend) um das Haus ziehende, folgende hinzugewonnene Räumlichkeiten: Holzschuppen, Hühnerstall, Schafstall und Entenstall. Die Toilette ist außerhalb errichtet. Auf dem Weg dorthin befindet sich ein kleiner, separater Schuppen, der als improvisierte Holzwerkstatt benutzt wird. Der zum Haus gehörende und es scharf bewachende Schäferhund muß sich mit ein paar schräg an einen Heureiter gestellten Dachschindeln als Unterschlupf zufrieden geben. Die Quelle befindet sich, vom Toilettenhäuschen etwa 50 Meter entfernt, oberhalb der gesamten Anlage.

Die Bedeutung und Verwendung einzelner Räume, Baumaterialien, traditioneller Bauverfahren und des bäuerliches Mobiliars in Obcina

Haus der Familie Sewera
Ein Kochherd in der Wohnstube dient als einzige Wärmequelle, der Rauch kann in den Dachboden abziehen, wo er ihn am First verläßt. Hier sind die Holzschindeln kapuzenartig von Außen aufgesetzt, um ein ungehindertes Abziehen des Rauches zu ermöglichen.
Die Stube wird durch zwei kleine Fenster belüftet und tagsüber beleuchtet. Zwei Holzbetten genügen, um den Bewohnern knapp bemessenen Platz zum Sitzen und Schlafen zu geben. Ein Tisch zwischen den Betten dient bei Regen und schlechtem Wetter als Eßtisch. Die Zwischenräume in den beiden Doppelfenstern sind Ablageflächen für Dinge des täglichen Bedarfs: eine Uhr, ein kleines, batteriebetriebenes Radio, kleine Blumentöpfe, etc.. An den Wänden der Stube befinden sich Hakenbretter, Löffelbord, Tellerhalter und zwei bis drei mit religiösen Motiven und persönlichen Familienfotos (Geburt, Taufe, Hochzeit, Beerdigung) ausgelegten Bilderrahmen. Über dem Bilderrahmen hängt, am gleichen Nagel wie auch das Bild befestigt, oftmals eine nicht funktionierende Armbanduhr. Von der Decke über dem Tisch oder dem Herd hängt eine Petroleumlampe.

Das Haus des Böttchers Stefan Kut

Eine zweite, für Obcina ebenfalls typische Hausform ist das Haus der Familie Kut. Das von Stefan Kut selbst errichtete Wohnhaus hat eine noch einfachere Aufteilung als das eben vorgestellte Wohnhaus der Familie Sewera. Hier befinden sich zwei Zimmer, und ein kleiner, besonders interessant eingesetzter Flur, der durch zwei frontale Haustüren gleichberechtigt zu betreten ist. Tritt man durch eine der beiden Haupteingangstüren, so erreicht man nach einem weiteren Schritt durch den Flur jeweils eine weitere Tür, durch die man in den dahinter liegenden Raum gelangt. Links befindet sich die Wohnstube und rechts das Böttcherattelier. Im Winter können also, bei verschlossenen Eingangstüren, durch den Flur und ohne großen Kälteverlust die beiden Räume betreten werden. Was unter normalen Umständen ein selbstverständlicher Zustand ist, gilt hier bei der Enge (das Haus hat eine Grundfläche von nur 6 x 4,5 Metern) als eine günstige, und ausgesprochen Platz sparende Lösung. Der Flur ist noch aus anderen Gründen äußerst wichtig. Hier werden von den Bewohnern in selbst gefertigten Holzfässern Lebensmittel (verschiedene Sorten von Schafskäse, Sauermilch, eingezuckerte Fruchtpasten, in Salzlake eingelegter Kohl, etc.) im Winter frostsicher und im Sommer beschattet aber schnell erreichbar aufbewahrt. Diese Vorräte sind zudem im Blickfeld und unter ständiger Kontrolle der Hausfrau, denn Hunde, Mäuse und andere hungrige Wesen müssen ferngehalten werden.
Haus der Familie Kut
Die Ausstattung der Wohnstuben in Obcina unterscheiden sich grundsätzlich wenig. Zu ähnlich sind die zu verrichtenden Arbeiten und zu bereitenden Speisen, zu ähnlich die Lebensgewohnheiten, das zu bewältigende Arbeitspensum und die sozialen Kontakte der Siedler untereinander.
So ist die Wohnstube der Familie Kut ebenfalls spärlich aber zweckmäßig eingerichtet. Ein einfacher, rustikaler Dielenboden, der täglich gefegt und gewischt, aber auch - im Gegensatz zu in den Tälern bewohnten Wohnstuben – täglich mit lehmigen Schuhen betreten werden muß, ist von Stefan Kut eingezogen worden. Ein ganzjährig beheizter, lehmverputzter und mit eingefärbten Kalk getünschter Ofen - Herd und Schlafplatz für kleine Kinder (hinterer Bereich) in einem - dient der Hausfrau zum Kochen und Trocknen der Sachen. Dazu befindet sich an der Hinterseite des Raumes eine von der Decke abgehangene, lange Holzstange, auf der die gesamte Bekleidung der Familie aufbewahrt wird. Einerseits werden die Sachen auf diese Weise ständig trocken gehalten und belüftet, andererseits liegen sie nicht im Weg und können schnell vom jeweiligen Eigentümer gefunden werden. Platz für einen Kleiderschrank gibt es ohnehin nicht, denn gerade zwei Betten, ein dazwischen gestellter kleiner Tisch, rustikale Sitzbank und ein paar Hocker finden noch Platz. An den Wänden sind Löffel- und Tellerhalter, kleine Holzkästchen mit persönlichen Unterlagen (Urkunden, Dokumente, Kugelschreiber, Brillen, etc.) und auch hier, wie überall, Bilder mit religiösen und persönlichen Abbildungen befestigt. Als Wärme- und Wandschutz sowie dekorativen Zweck dienen über den Betten an den Wänden befestigte von Haffia Kut gewebte, mit farbenreichen Motiven verzierte (Schaf)Wolldecken. Als Beleuchtung dient eine Petroleumlampe. In den Fenstern stehen kleine Blumentöpfe mit erstaunlich widerstandsfähigen Zimmerpflanzen, denn im Winter herrschen nachts nicht selten Außentemperaturen von minus 20 Grad Celsius und mehr.
Im Flur stehen etwa zwei Dutzend unterschiedlich große und kleine Holzfässer (von Stefan Kut gefertigt), in denen zum Teil natürlich konservierte Lebensmittel ganzjährig aufbewahrt werden. Dazu gesellt sich eine unübersichtliche Menge an diversen Arbeitsgeräten (Äxte, Forken, Spaten, Butterfässer, Blaubeerkämme, etc.), Saatgut, Tierfutter und vieles mehr. Im zweiten Raum des Hauses, dem Böttcherattelier, findet sich ein weiteres Bett, eine Schnitzbank, eine Sitzbank und unsortiert aber griffbereit zusammengelegtes Arbeitsgerät. Hier herrschen geradezu chaotische, für Außenstehende unübersichtliche Zustände. Doch Stefan Kut erkundet mit geschultem Blick den Verbleib oder gegenwärtigen Aufenthaltsort jedes einzelnen Arbeitsgerätes. Im Attelier ist ein kleiner Metallofen. Wiederum über eine Stange von der Decke aufgehangen, werden hier ein gutes Dutzend Glocken aufbewahrt.
Im Dachbereich häufen sich – wie auf jedem Dachboden in Obcina – Teile der Heuvorräte. Zum Hof der Familie Kut gehört noch ein 50 Meter entferntes Stallgebäude, in dem Kühe, Enten und Hühner gehalten werden. Hier befindet sich, ohne gesonderte Abgrenzung zum Vieh, auch die Toilette. Eine Erdmiete hinter dem Stall wird zur frostsicheren Aufbewahrung größerer Mengen Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch genutzt. Stefan Kut verfügt über 2 geräumige, mit Holz verkleidete und gedeckte Heuschober, darüber hinaus besitzt er noch 5 weitere, überdachte Heuschober. Mittels eines höhenverstellbaren Daches kann je nach Füllung des Schobers das Heu entsprechend gegen äußere Einwirkungen (Regenwasser, Wind, Schnee) geschützt werden.