Der singende
Tisch
Überall auf
und nirgend an
Wie das Wiesengras
im Wind
War einer Hersch,
Fuhrmann
Zwei rumänische Buben am Tag der Tage: Maria Himmelfahrt
Ich habe keine Zeit nicht mehr (Anna Maria Holzberger)

Am 23. März 1972 hab ich meinen hundertsten Geburtstag gefeiert.
Ja, da war das Haus voller Gäste; das heißt, sie hatten nicht alle Platz in der Stube, und die meisten saßen draußen im Hof, obwohl es ein bißchen kühl war, doch im Sonnenschein war es auch im Hof schön.
Sie fragen, wie man sich fühlt, wenn man die Hundert überschritten hat?
Wie soll man sich fühlen? Genau wie bei neunzig oder fünfundachtzi, aber nicht mehr so gut wie bei siebzig. Als ich siebzig war, mein Gott, da hab ich noch die Krumpirnsäcke (Kartoffelsäcke) allein in den Keller getragen. Jetzt geht das schon nicht mehr ...
Aber sonst bin ich noch gesund, die Zeitung "Neuer Weg" les ich ohne Brille, und manchmal sag ich mir, wenn ich noch lange leb, werd ich wieder kurzsichtig wie mit vierzig-fünfzig.

....

Wer die vielen Leut waren, die mich am Hundertsten besucht haben? Da waren einmal meine sieben Kinder: Franz, einundachtzi, Johann, neunundsiebzig, Martin, siebenundsiebzig, Anton, sechsundsiebzig, Julius, fünfundsiebzig, Therese, dreiundsiebzig, und Anna, zweiundsiebzig; gefehlt hat der Stefan, der ist vor drei Jahren gestorben, heute wäre er vierundsiebzig.
Die Söhne hatten ihre Frauen, manche die zweite, dritte oder vierte Ehefrau mitgebracht, das heißt meine Schwiegertöchter, dann die Enkelkinder, Ur- und Ururenkelkinder. Also von denen weiß ich nicht mehr die Namen.
Ich hab immer nur gefracht: von welchem bist´? Dann hat der kleine geantwortet: Vom Joku-Großvater dem Franzi seiner. Dann hab ich immer gedacht: Ist das nun einer vom Franzi dem Martin seiner oder vom Franzi dem Toni seiner? Aber herausfinden hab ich es nicht können.
Na ja, sie sind alle gleich lieb gewesen. Es waren so um die dreißig Kinder da, einige haben auch madjarisch (ungarisch) oder rumänisch gesprochen. Das hat mich gewundert: Sind sie jetzt auch von mir? Vielleicht waren sie von den Töchtern des Tonku vom Emu dem Joku seiner; die sind so ein bißchen gemengt, weil schon die erste Frau vom Joku eine Madjarin aus Rohnen war, die zweite, die er dann als Witwer geheiratet hat, war eine Zipserin, die dritte - als geschiedener Mann - eine deutsche; die Arme ist aber bald gestorben, und so hat er noch einmal mit fünfundfünfzig geheiratet, und diese vierte Frau ist wieder eine Zipserin.
Aber Kinder gemacht hat er nur mit der Madjarin: sechs im ganzen, zwei sind gestorben, als sie noch klein waren, geblieben sind vier, die später geheiratet haben undsoweiter ...
Von wem aber die zwei Kleinen waren, die Rumänisch gesprochen haben, kann ich mir nicht denken. Möglich auch aus der Richtung vom Joku. Denn wer einmal zum Nachbarn seiner Marln geht, der geht halt immer wieder hin, und der Apfel fällt nicht weit vom Baum, und die Katzerl von der Katz fressen auch nur Mäuserl und nicht Halupsi.
Was soll ich noch sagen?
Es waren aber nicht alle Urenkel und Ururenkelchen da, denn einige sind in der Stadt auf der Schule, und die konnten nicht kommen.
Und der Stefan, mein kleinster Bub, der hat auch gefehlt; ja, der ist tot. Und die Männer von der Reßku und Annusch sind auch schon gestorben. Die jüngeren sterben und ich werd alt.

An meinem Geburtstag hab ich dem Julius gesagt: Gjulku, du bist fünfundsiebzig und der jüngste, drei Frauen hast du, mein armer Bub, verloren. Jetzt mußt´es mit Gottes Hilfe noch einmal versuchen. Gjulku mein Wunsch ist, du sollst wieder heiraten.
Da haben die anderen gelacht und Witze gemacht: Na, wo ist ein schönes Marl für den Gjulku?
Aber ich hab nicht gespaßt; Das ist kein Spruch nicht! hab ich gerufen (so laut ich noch rufen kann, denn es waren ja so viele Leut da), der jüngste nach Stefan ist Gjulku, und es muß jetzt eine Frau her, die arbeiten kann, denn ich hab es satt. Mit Hundert darf man auch ausruhen, mit Hundert am Puckel muß man nicht mehr für andere schuften!
Da waren sie alle sehr still.
Und der Franzku, der älteste, der einundachtzig ist, hat gesagt: Wenn Mama will, daß der Gjulku noch einmal heiratet, so wird er noch einmal heiraten und damit basta!

Text aus: "Wie das Wiesengras im Wind. Frauenschicksale/Protokolle" von Claus Stephani
Dacia Verlag Cluj-Napoca 1986