Das regionale Zentrum ist Oberwischau/Viseu de Sus, doch auf einigen Gebieten wird der Stadt andernorts schon kräftig Konkurrenz gemacht. Nicht das in Oberwischau der Hund begraben wäre, aber beispielsweise in Borsa wird eindeutig mehr fürs Vergnügen gesorgt. Ob sich daraus allerdings eine Kontinuität entwickeln wird, ist noch nicht absehbar. Inzwischen gibt es nun auch in Oberwischau mehrere Nachtclubs. In mehr schlecht als recht umgezimmerten Kneipen sind an bestimmten Abenden - und zu großstädtischen Nachtzeiten! - leicht beschürzte Mädchen an umfunktionierten Wasserrohren zu beobachten. Wenn die Mädchen ahnen würden, daß sie in ihrem Gewerbe, was den rauhen Umgangston der Zuschauer betrifft, in Oberwischau Schwerstarbeit zu Dumpingpreisen leisten, würden sie sich wenigstens für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen engagieren.

Übrigens, auch in Oberwischau reguliert sich das Verhältnis Angebot und Nachfrage über die Kaufkraft des Kunden. Die Stadt ist ein Mikrokosmos, ein komplexes Gebilde innerhalb Rumäniens. Bestimmte Abläufe haben sich verselbstständigt, folgen ihren eigenen Gesetzen. Kommunikationsformen zwischen so unterschiedlich geprägten Menschen, wie sie hier miteinander leben, haben ein bestimmtes, lokales Kolorit, einen besonderen Klang erhalten. Oberwischau ist einerseits isoliert, provinziell und muffig, anderseits aber auch überraschend weltoffen und modern.

Fast in jeder Familie findet sich jemand, der gerade nach Deutschland fährt, von dort schwer bepackt zurückkommt oder dort noch irgendwie und irgendwo beim Geldverdienen ist. Unglaubliche Geschichten florieren über die, innerhalb kürzester Zeit im Ausland, speziell in Deutschland, zu machenden Reichtümer. Eine kleine Elite über Nacht schnell reich gewordener "Geschäftsleute" scheinen die Gerüchte zu bestätigen. Jeder will das große Geld machen, und die erstaunlichsten Methoden werden sich ausgedacht, um in den Besitz des nötigen Visa zu gelangen. Häufig gelangen die Glücksritter auf abenteuerlichen Wegen zurück nach Oberwischau, und bereichern bald darauf das Stadtbild mit klapprigen "Westautos". Dann stehen sie zusammen mit dutzenden Neugierigen an den Kreuzungen und erzählen von ihren Erfahrungen "draußen" in der Welt.

Wenn es den Nobelpreis für "Phantastische Geschichten" geben würde, wäre jedes Jahr der Preisträger aus Oberwischau zu küren.